Hat man die Aufsichtspflicht von den Eltern übernommen, so muss man die Minderjährigen vor Schäden jeglicher Art bewahren und sie daran hindern, anderen Schäden zuzufügen. Es gilt, vorhersehbare Gefahren vorausschauend zu erkennen und situationsgerecht darauf zu reagieren. Ein Schaden kann körperlicher, gesundheitlicher, sittlicher, geistiger oder seelischer Art sein. Hinzu kommen noch die Sach- und Vermögensschäden.
Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht richten sich dabei danach, was die einzelne Situation, die persönlichen Eigenheiten des Kindes und die Zumutbarkeit für den entsprechenden Gruppenleiter erfordern. Es gibt also keine allgemeinen gesetzlichen Regeln, was “man” in einer bestimmten Situation zu tun hat. Die Frage muss immer lauten, ob dieser Leiter dieses Kind in dieser Situation genügend beaufsichtigt hat oder nicht. Die drei Faktoren Kind, Betreuer und Situation sind also in jedem Einzelfall neu zu gewichten und zu bewerten, um der Aufsichtspflicht gerecht zu werden.
Dabei muss beachtet werden, dass der Betreuer stets in einem Spannungsfeld steht: Einerseits soll er die Kinder und Jugendlichen zur Selbstständigkeit führen und ihnen Möglichkeiten bieten, mit Gefahren umgehen zu lernen – dies kann auch durchaus mal zu negativen Erfahrungen der Minderjährigen führen. Andererseits muss er immer den Sicherheitsaspekt beachten.
Orientierungshilfen zur Aufsichtspflicht
Es gibt ein paar Anhaltspunkte, an denen man sich bei der Ausübung seiner Aufsichtspflicht orientieren kann.
Die Gruppenmitglieder
Jüngere Kinder sind intensiver zu beaufsichtigen als ältere. Während man einen 5-Jährigen immer im Auge behalten sollte, können einem 12-Jährigen mehr Freiräume gegeben werden. Wenn keine besonderen Gefahren drohen, kann man folgende Faustregel anwenden: Kinder bis 6 Jahre müssen durchgehend beobachtet werden, 7 bis 8-Jährige alle 20 bis 30 Minuten und 9 bis 11-Jährige alle 60 bis 90 Minuten. Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren können tagsüber auch schon mal 2 bis 3 Stunden allein gelassen werden.
Auch der Entwicklungsstand und besondere Neigungen sind wichtige Aufsichtspflicht-Faktoren. Kinder der gleichen Altersstufe können ganz unterschiedlich entwickelt sein. Zur Beurteilung der Reife dient insbesondere das bisherige Verhalten in der Gruppe. Ein Raufbold z. B. muss intensiver beaufsichtigt werden. Die Kenntnisse und Fähigkeiten der Kinder sind ebenfalls ein bedeutendes Kriterium. Aus diesen Gründen ist es immer sinnvoll, die Teilnehmer möglichst schnell gut kennenzulernen.
Programm & Ort
Auch das Programm und der Veranstaltungsort sind wichtige Beurteilungskriterien. Bestehen besondere Gefahren, z. B. Gruppe geht schwimmen, muss die Aufsicht intensiver sein als bei Bastelarbeiten. Das eigenständige Hantieren mit gefährlichen Gegenständen, z. B. Messern, Werkzeugen und Streichhölzern, sollte Kindern unter 10 Jahren ohne direkte Aufsicht untersagt werden. Wenn örtliche Gefahrenquellen vorhanden sind, z. B. eine viel befahrene Straße, ein reißender Fluss beim Zeltlager oder ein alter Steinbruch auf der Strecke einer Naturrallye, sollte man stets besondere Vorsicht walten lassen.
Das Betreuerteam
Auch die Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen der Gruppenleiter spielen bei der Aufsichtspflicht eine Rolle: Ein unerfahrener Betreuer sollte besser “auf Nummer sicher” gehen und lieber einmal zu viel als zu wenig nachschauen. Ein Erfahrener, der die Kinder und die Situation schneller einschätzen kann, darf die Zügel schon mal lockerer lassen.
Als Gruppenleiter darf man sich auch mit der Gruppengröße nicht übernehmen. Allgemein ist davon auszugehen, dass ein Betreuer bei normalen, ungefährlichen Aktivitäten zehn bis zwölf Kinder beaufsichtigen kann, im Gruppenraum auch etwas mehr. Drohen mehr Gefahren, wie z. B. auf einem Zeltlager, sollte ein Gruppenleiter nicht mehr als acht Teilnehmer betreuen. Bei risikoreichen Unternehmungen wie Radfahren, Kanufahren, Bergwandern und Schwimmen ist ein Aufsichtsverhältnis von eins zu sechs ideal. Wenn kurzfristig ein Gruppenleiter ausfällt, z. B. wegen Krankheit, darf ein Betreuer auch mehr Kinder beaufsichtigen. Dann muss er die Aufsichtsführung aber rigoros handhaben und gefährliche Aktivitäten aussetzen. Schließlich ist die körperliche und psychische Zumutbarkeit für den Gruppenleiter ein wichtiges Kriterium für das Ausmaß der Aufsichtspflicht. Er darf mit der Betreuung nicht überfordert werden. Eine Rund-um-die-Uhr-Beaufsichtigung auf einem Zeltlager kann z. B. normalerweise nicht verlangt werden.
Die fünf Stufen der Aufsichtspflicht
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