Ein Schlagwort, das du in den letzten Jahren sicher schon gehört hast, ist der Begriff „Gender Mainstreaming“. Dabei geht es, kurz gesagt, um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Etwas komplizierter ausgedrückt, bezeichnet der Begriff den Prozess, die Lebenssituationen und Interessen von Mädchen (Frauen) und Jungen (Männern) in allen Bereichen und bei allen Entscheidungen und Planungen zu berücksichtigen.
Grundlegend dabei ist die Unterscheidung von sex und gender. Denn damit wird herausgestellt, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Geschlecht als biologisches Merkmal (sex) und dem Geschlecht, das sozial konstruiert wird (gender). Dies bedeutet, dass Verhaltensweisen, Rollenerwartungen, Selbst- und Fremdwahrnehmungen usw. über das, was Frauen und Männer typischerweise tun sollen, wollen, oder dürfen, einem gesellschaftlich-historischen Wandel unterliegen und nicht durch die biologischen Merkmale festgelegt sind. Die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechterrollen von Frauen und Männern sind somit erlernt und damit auch veränderbar.
„Mainstream“ (engl. „Hauptströmung“ oder „zum Hauptstrom machen“) bezeichnet den Versuch, Benachteiligte oder Randgruppen in die Mitte der Gesellschaft (also in den mainstream) zu bringen. So werden für „Gender Mainstreaming“ oft folgende Übersetzungen verwendet: „Gleichstellungsorientierung“ oder „Gleichstellungspolitik“.
Gender Mainstreaming ist eine politische Strategie zur Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit. Grundidee ist, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern durchgängiges Prinzip des Handelns von Organisationen werden soll. Die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern ist also Aufgabe von allen und sollte sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Gesellschaft ziehen. Somit ist das Thema auch für die Arbeit der NAJU und des LBV relevant. Die Kinder/Jugendlichen sollten auf euren Veranstaltungen individuelle, vielfältige und an ihren Bedürfnissen orientierte Erfahrungen machen können, ohne stereotypischen Zuschreibungen und Sichtweisen unterworfen zu sein. So werden sie bei der Suche nach ihrer Persönlichkeit und einem Verständnis des eigenen und des anderen Geschlechts unterstützt, ohne in geschlechterspezifische Rollen gedrängt zu werden.
Gerade Kinder- und Jugendgruppen bieten die Möglichkeit, Aktionen und Gruppenstunden zu gestalten, die alle Teilnehmenden gleichermaßen ansprechen. Deshalb hier nun einige Anregungen, damit sich alle in deiner Kinder- oder Jugendgruppe wohl fühlen, Spaß haben und ihre Interessen wiederfinden und umsetzen können.
Deine eigene Haltung
Zuerst einmal geht es um dich selbst als Leiter/in der Gruppe: Was ist deine Meinung zu dem Thema? In der einen oder anderen Situation hast du sicherlich schon bemerkt, dass du als Leiter/in einer Gruppe eine klare Stellung zu einem Thema beziehen musst. Zum Beispiel wenn es darum geht, gemeinsam zu kochen oder danach aufzuräumen; da kann es schon mal vorkommen, dass einer der Jungs meint, das sei Sache der Mädchen... Hierfür ist deine eigene Haltung wichtig und dass du dir selbst schon einmal Gedanken zur Gleichberechtigung der Geschlechter gemacht hast. Denn schließlich bist du auch Vorbild für deine Gruppe.
Die Gruppenmitglieder
Nicht nur deine eigene Haltung, sondern auch die Besonderheiten deiner Gruppenmitglieder spielen für die Umsetzung von Gender Mainstreaming eine Rolle. Selten ist eine Verhaltensweise ausschließlich „typisch Mädchen“ oder „typisch Junge“. Oft sind auch andere Faktoren, wie z.B. das Alter oder die Herkunft, wichtig. Letzteres trifft besonders zu, wenn du in deiner Gruppe Teilnehmer aus anderen Kulturen hast.
Wende andere Gruppeneinteilungskriterien als das Geschlecht an, wie zum Beispiel Geburtstage, Kleidung, Haarfarbe, Anfangsbuchstaben oder Lieblingsfarben.
Öffentlichkeitsarbeit
Welche Teilnehmer zu euren Aktionen kommen und wie das Bild von eurer Gruppe in der Öffentlichkeit ist, hängt auch davon ab, wie die Ausschreibungen und Programme gestaltet sind und ob sich Mädchen und Jungen gleichermaßen angesprochen fühlen.
So ... oder so ...
So ... oder so ...
Gruppenstunden, Übungen und Aktionen
Gerade bei Veranstaltungen könnt ihr euch im Vorfeld Gedanken machen, wie geschlechtergerecht die Aktionen eigentlich sind. In dem „Gender-Check“ findest du ein paar Ideen, worauf du achten könntest.
Deine eigene Haltung |
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Welche positiven oder negativen Erfahrungen hast du in deinem Leben gemacht, weil du eine Frau bzw. ein Mann bist? In deiner Herkunftsfamilie, in der Schule, am Arbeitsplatz…? |
Was sind deiner Meinung nach typische Männer- oder Frauenrollen und warum? |
Traust du Frauen und Männern in jeder Situation das Gleiche zu? Und warum (nicht)? |
Was denkst du über die Geschlechterfrage? |
Sprichst du in einer Sprache, die Männer und Frauen gleichermaßen anspricht? |
Die Gruppenmitglieder |
Welches Verhalten ist „typisch Junge“ oder „typisch Mädchen“? Welches Verhalten ist eher altersbedingt oder beeinflusst von der Herkunft (Familie, Kultur)? |
Wie gehen die Gruppenmitglieder mit dem eigenen oder dem anderen Geschlecht um? Wie verhalten sie sich dir gegenüber? |
Ermunterst du die einzelnen Gruppenmitglieder auch, für sie ungewohnte Aufgaben zu übernehmen? |
Eure Gruppenstunden |
Wie ist das Leitungsteam zusammengesetzt? Gibt es weibliche und männliche Betreuer? |
Wer übernimmt welche Aufgaben? Und warum eigentlich? |
Welche Möglichkeiten haben die Teilnehmenden, sich aktiv zu beteiligen? |
Werden die Interessen aller berücksichtigt? Oder sind eure Aktionen eher nur für Mädchen oder Jungen attraktiv? |
Habt ihr in eurer Gruppe schon mal über dieses Thema gesprochen? |
Öffentlichkeitsarbeit |
Sind die Ankündigungen und Berichte geschlechtergerecht formuliert? Fühlen sich Jungs und Mädchen gleichermaßen angesprochen? |
§1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG): Ziel des Gesetzes ist es Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Einstiegsübungen: Undoing Gender - Hinterfragen von Rollenbildern
Diese Übung eignet sich zum Einstieg, weil dadurch Begriffe und Vorstellungen zu Gender beziehungsweise Gleichstellung gesammelt werden können, um diese anschließend gemeinsam zu behandeln.
Ziele:
- Eigenes Denken in Geschlechtsrollenstereotypen aufdecken
- Spielerisch das eigene „Doing Gender“ reflektieren
- Gedankenexperimente des „Undoing Gender“ durchführen
Material: Sammlung von Tieren als Spielzeug oder auf ausgedruckten Bildern, drei Plakate, Kärtchen, Stifte
Dauer: 40 min
Alter: ab 12 Jahren
Beschreibung: „Der Löwe ist männlich, die Schlange weiblich“, diese Geschlechterrollenstereotypen haben wir verinnerlicht und sie werden jeden Tag aufs Neue reproduziert („Doing Gender“). Durch die Arbeit mit Tierbezeichnungen lässt sich dieses Denken reflektieren und ein erster Schritt zum Hinterfragen und Aufbrechen („Undoing Gender“) dieser Zuschreibungen machen. Dafür wird eine Sammlung von Tieren (Spielzeug oder ausgedruckte Bilder auf Papier) auf einem Tisch ausgebreitet und ein Plakat mit der Überschrift „gesellschaftlich eher als weiblich gesehen“, eines mit der Überschrift „gesellschaftlich eher als männlich gesehen“ und eines mit der Überschrift „kann beiden zugeordnet werden“ aufgehängt.
Die Mädchen und Jungen werden ohne weitere Erklärung aufgefordert, ein Tier aus der Sammlung, das sie gerade anspricht, auszuwählen. Sie notieren auf Kärtchen, welche Eigenschaften sie mit dem jeweiligen Tier assoziieren. Anschließend teilen die Kinder/Jugendliche das Tier mit den auf der Karte notierten Eigenschaften einem der drei Plakate zu. Die Fragen, die sie sich dabei stellen, sind: „Was assoziiert meine Nachbarin beziehungsweise mein Nachbar damit? Wo würde sie oder er dieses Tier eher zuordnen?“
Die Gruppenleitung liest die Tiere und Eigenschaften auf allen drei Plakaten vor. Meist ergibt sich dann folgendes Bild: mit „stark“ und „aggressiv“ assoziierte Tiere sind auf der „männlichen“ Seite; mit „weich“ und „fürsorglich“ assoziierte Tiere sind auf der „weiblichen“ Seite. Das Ergebnis kann mit den Schülerinnen und Schülern anhand folgender Fragen diskutiert werden:
- Warum ist das so?
- Könnte es auch anders sein?
- Welche Konsequenzen kann es haben, wenn bestimmte Eigenschaften einer Personengruppe zugeteilt beziehungsweise abgesprochen werden?
- Sind die Eigenschaften wirklich eindeutig zuordenbar?
- Wo gibt es Gemeinsamkeiten?
Die Gruppenleitung, die die Diskussion leitet, sollte darauf achten, dass die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede betont werden, und immer wieder hinterfragen, ob die Eigenschaften wirklich eindeutig dem „Männlichen“ oder dem „Weiblichen“ zuordnebar sind. Wichtig ist, dass während dieser Diskussion die Tiere auch von einem Plakat zu einem anderen wechseln.
Variante: Die Übung kann in geschlechtshomogenen Mädchen- und Jungengruppen durchgeführt werden. Die Ergebnisse werden anschließend gemeinsam verglichen und diskutiert.
Einstiegsübungen: Gender-Positioning
Ziel:
- Austausch über Genderthemen
- Erkennen eigener Rollenbilder und Verhaltensweisen
- Lernen, eigene Standpunkte zu erklären
Material: Schnur/Seil/Wolle (Klebeband), vorbereitete Fragen
Dauer: 20 min – kann beliebig gekürzt oder verlängert werden
Alter: ab 12 Jahren
Beschreibung: Mit einem Seil wird auf der Wiese eine Linie gelegt. Das eine Ende der Linie gilt als Zustimmung, das andere Ende als Ablehnung. Die Gruppenleitung stellt den Mädchen und Jungen Entscheidungsfragen und bittet sie, sich entsprechend ihrer Antwort auf der Linie zwischen Zustimmung und Ablehnung zu positionieren. Im Anschluss werden Statements zu einzelnen Positionierungen der Jungen und Mädchen eingeholt und darüber diskutiert.
Die Gruppenleitung die die Diskussion leitet, achtet darauf, dass die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede betont werden: Beide Geschlechter können die gleichen Eigenschaften haben. Während der Diskussion können alle ihre Position auf der Linie ändern.
Nachstehend ein paar Vorschläge zu Fragen. Sie sind beliebig erweiterbar – zum Beispiel Bezug nehmend auf ein aktuelles Gruppenstunden-Thema.
Fragen zu Gender | |
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Hast du schon einmal Fahrradreifen gewechselt? | Können Mädchen besser kochen? |
Hast du schon einmal Windeln gewechselt? | Findest du Spinnen ekelig? |
Hast du schon einmal Windeln gewechselt? | Schöne Menschen finden leichter einen Partner oder Partnerin. Stimmt das? |
Hast du schon mal einen Frosch gefangen? | Glaubst du, dass Jungen schlauer sind als Mädchen? |
Sind Mädchen und Jungen gleichberechtigt? | Können Frauen besser Auto fahren als Männer? |
Sind Frauen und Männer gleichberechtigt? | Bist du gerne ein Junge/gerne ein Mädchen? |
Können Männer mit einer Waschmaschine umgehen? | Sollen Jungen und Männer auch Röcke tragen? |
Findest du, dass Mann und Frau sich die Hausarbeit teilen sollten? | Glaubst du, alle Frauen wollen Kinder kriegen? |
Glaubst du, es gehen viele Männer in Elternurlaub? | Willst du einmal so werden wie deine Mutter oder dein Vater? |
Mädchen spielen mit Puppen, Jungen mit Autos. Stimmt das? | Findest du Mädchen mit kurzen Haaren und Hosen unweiblich? |
Gibt es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen? | Sind Jungen mit langen Haaren unmännlich? |
Sind Jungen von Natur aus aggressiver? | ... |
Quellen: Bayerischer Jugendring: "Begriffsinstrumentarium - Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität", https://bjr.de/fileadmin/redaktion/allgemein/Geschlechtergerechtigkeit/2017-03_01_Begriffsinstrumentarium_download.pdf, 22.06.2021 Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe: "Geschlechtersensibilität als Merkmal und Gegenstand von Erziehung, Bildung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen", https://agj.de/fileadmin/files/positionen/2012/Geschlechtersensibilitaet.pdf, 22.06.2021 Verein Amazone: "Mach es gleich - Gender & Schule", http://www.genderundschule.de/index.cfm?uuid=8D8DEC7F9327CFB39927478A08B94D03&and_uuid=14168E18B2C3AFFBBF9F102A0FA6790E, 22.06.2021 Landesjugendring Niedersachsen e. V.: "Praxisbuch G – Geschlechtsbewusste Jugendarbeit“, https://www.ljr.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/JuleicaG-2012NEU.pdf, 22.06.2021