Für die konkrete Ausübung der Aufsichtspflicht gibt es ein allgemeines Handlungsschema, an dem man sich gut orientieren kann. Hierbei werden fünf Stufen der Aufsichtspflicht unterschieden, die alle ineinander greifen.
1 - Umfassend informieren:
Als Betreuer muss man sich laufend über die persönliche Situation der Teilnehmer und die Besonderheiten des Aufenthaltsortes informieren. Deshalb sollte man sowohl allgemeine Behinderungen, Krankheiten, Allergien sowie sportliche Fertigkeiten der Teilnehmer kennen als auch die momentanen Befindlichkeiten. Der Gruppenleiter muss sich durch Beobachtungen und eventuelle Befragungen einen raschen persönlichen Eindruck von den Teilnehmern verschaffen, um mögliche Risiken vorausschauend erkennen und Gefahren effektiv verhindern zu können. Zusätzlich gilt es, die Gefahren der örtlichen Umgebung zu minimieren, also z. B. Spielgeräte auf Sicherheit zu überprüfen, Notrufmöglichkeiten zu sammeln, die Umgebung eines Zeltplatzes kennenzulernen und dafür zu sorgen, dass die geplante Unternehmung auch durchführbar ist. Bei Ankunft an einem Ort muss sich durch einen persönlichen Rundgang davon überzeugen, dass keine (neuen) Gefahrenquellen vorhanden sind. Informationsdefizite gehen grundsätzlich immer zu Lasten der Gruppenleiter.
2 - Gefahren vorbeugen:
Der Gruppenleiter muss zuerst einmal dafür sorgen, selbst keine Gefahrenquellen zu schaffen, er sollte also z. B. keine Werkzeuge liegen lassen, keinen Alkohol frei zugänglich im Gruppenraum aufbewahren oder die Teilnehmer nicht körperlich und seelisch überfordern. Weiterhin müssen Gefahrenquellen beseitigt oder abgesichert werden, damit Gefahrensituationen mit unkalkulierbaren Risiken vermieden werden. Er muss z. B. gefundene Feuerzeuge aufheben, gefährliche Verhaltensweisen wie Kanufahren ohne Schwimmweste oder Raufen unterbinden und Scherben am Lagerfeuerplatz entfernen. Von der Anzahl der vorhandenen Gefahrenquellen hängt das Maß der notwendigen Aufsicht entscheidend ab. Zur Vorsorge gehört auch das Bereitstellen einer Erste-Hilfe-Tasche, die bei der Aktivität dabei sein muss. Es empfiehlt sich, auch immer ein Handy dabei zu haben.
3 - Vorsorglich warnen:
Der Betreuer muss alle Kinder und Jugendlichen rechtzeitig und in einer ihnen verständlichen Art und Weise auf die Gefährlichkeit bestimmter Situationen, Örtlichkeiten und Verhaltensweisen aufmerksam machen und ggf. einsichtige Ver- oder Gebote aussprechen. Sie sollten immer sachlich begründet sein und nicht bloß der Entlastung des Gruppenleiters dienen. Je größer das Gefahrenpotential, umso eindringlicher muss die Belehrung sein. Auch der Umgang mit gefährlichen Werkzeugen muss den Teilnehmern gezeigt werden. Bei einer Belehrung bitte darauf achten, dass alle Teilnehmer anwesend sind und bei jüngeren Kindern sich vergewissern, ob auch alles verstanden wurde. Übrigens merken sich und befolgen Kinder selten mehr als fünf bis sechs verschiedene Verbote. Deshalb nur wenige wichtige Regeln aufstellen, bei denen dann aber konsequent auf die Einhaltung geachtet wird. Den Kindern muss klar sein, dass das Übertreten von Regeln nie unbeachtet und ungeahndet bleibt.
Gruppenleiter sollten stets im Hinterkopf behalten, dass für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufsichtspflicht Belehrungen allein nicht ausreichen, sondern Gefahrenquellen beseitigt oder abgesichert werden müssen!
4 - Dauernd überwachen
Der Betreuer hat “ständig” Augen und Ohren offen zu halten und in seiner Aufsichtsführung nachzuprüfen, ob die Belehrungen und Verbote auch eingehalten werden. Er muss die Teilnehmer zwar nicht dauernd sehen, aber immer wissen, wo sie sich aufhalten und was sie gerade tun. Hierüber muss er sich in regelmäßigen Abständen Klarheit verschaffen. Bei verordneter Nachtruhe ist z. B. der stichprobenartige Kontrollgang eine notwendige Maßnahme. Je besser man die Gruppe kennt und einschätzen kann, desto klarer weiß man, wie intensiv die Aufsicht sein muss.
5 - Notfalls eingreifen
Wenn die Belehrungen und Verbote nicht fruchten, muss der Gruppenleiter schon frühzeitig Konsequenzen ziehen, mit den Betroffenen ein Gespräch führen und Verwarnungen aussprechen. Sein Verhalten hat sich ganz nach der Schwere des Verstoßes und den eventuell damit verbundenen Gefahren zu richten. Nutzen auch die Verwarnungen nichts, muss er Strafen androhen und bei fortgesetztem Regelverstoß anwenden. Eine Bestrafung muss zeitnah, nachvollziehbar, gerecht und verhältnismäßig sein. Nicht erlaubt sind jede Art körperlicher Gewalt, Strafgelder, bloßstellende und erniedrigende Strafen, Einsperren und kollektive Bestrafung. Möglich sind „Time out“ für den Teilnehmer für eine bestimmte Aktion oder auf „das Zimmer schicken“, Wegnahme eines gefährlichen Gegenstandes, Verlagerung in ein anderes Zelt, Information der Eltern und zusätzliche Aufgaben. Das letzte wirksame Mittel ist der zeitliche oder endgültige Ausschluss aus einer Gruppe oder von einer Freizeit.
Aber Vorsicht: Auch hier endet die Aufsichtspflicht erst, wenn der Aufsichtspflicht-Vertrag mit den Eltern entsprechend geändert wird und die Eltern den Minderjährigen abholen oder erlauben, ihn alleine oder in Begleitung nach Hause zu schicken.
Eine Gruppenleitung, die sich an diesem Schema orientiert und so im Einzelfall anwendet, kann sich eigentlich nichts zu Schulden kommen lassen. Die Aufsichtspflicht übernehmen, heißt nicht, unter allen Umständen jeden Schaden vermeiden zu müssen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen alles zu tun, um einen möglichen Schaden abzuwenden. Es gibt nie nur eine einzige “richtige Entscheidung”, der Gruppenleiter hat immer einen gewissen Ermessensspielraum, in dem er handeln darf und muss.