Aufsichtspflicht Übernehmen
Jeder, der eine Kinder- oder Jugendgruppe leiten, sollten die Wichtigsten rechtlichen Bestimmungen für seine Tätigkeit kennen, um im Gruppenalltag richtig handeln zu können. Bei der Betreuung von Minderjährigen sind vor allem die Aufsichtspflicht und die damit möglicherweise einhergehenden Haftungsfragen von zentraler Bedeutung und stehen deshalb im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen.
Kinder und Jugendliche sind durch Sorglosigkeit und unvernünftiges Verhalten vielen Gefahren ausgesetzt und können auch eine erhebliche Gefahr für andere darstellen. Es ist Aufgabe der Eltern, die sogenannten Sorgeberechtigten, ihr Kind vor Gefahren und Schäden zu schützen und sie daran zu hindern, anderen einen Schaden zuzufügen.
Diese gesetzliche Pflicht der Eltern nennt man Aufsichtspflicht.
Die Aufsichtspflicht ist Teil der umfassenden elterlichen Sorge, die den Eltern erlaubt und auferlegt, ihr minderjähriges Kind zu pflegen und zu erziehen (Personensorge), zu beaufsichtigen (Aufsichtspflicht), gesetzlich und vermögensrechtlich zu vertreten (gesetzliche Vertretung und Vermögenssorge) sowie seinen Aufenthalt zu bestimmen (Aufenthalt-Bestimmungsrecht).
Die Aufsichtspflicht – und nur diese! – kann von den Eltern für eine bestimmte Zeit auch auf andere Personen übertragen werden.
Zwei Arten der Aufsichtspflicht
Es gibt zwei verschiedene Arten der Aufsichtspflicht über Minderjährige: Zum einen die durch Gesetze begründete und zum anderen die durch einen Vertrag zustande gekommene Aufsichtspflicht.
Gesetz:
Die Aufsichtspflicht der Eltern bzw. Sorgeberechtigten ist gesetzlich vorgegeben. Auch z.B. der Lehrer übernimmt in der Schule die Aufsicht nach rechtlichen Bestimmungen.
Vertrag:
Ein Gruppenleiter kann die Aufsichtspflicht nur durch einen Vertrag mit den Eltern übernehmen. Ohne die Zustimmung der Eltern dürfen Gruppenleiter und Vereine keine Kinder betreuen. Ein solcher Vertrag ist fast immer zeitlich befristet, z.B. für die Dauer einer Gruppenstunde oder einer Ferienfreizeit. Wichtig ist, dass der Gruppenleiter nicht die ganze elterliche Sorge übernimmt, sondern immer nur die Beaufsichtigung des Minderjährigen und seines mitgebrachten Eigentums. Er darf allerdings auch erzieherisch tätig werden, soweit es die Aufsichtspflicht erforderlich macht, d.h., wenn er eingreifen muss, um z.B. ein Verbot durchzusetzen. Der Betreuer darf dabei nicht gegen Gesetz und gute Sitten verstoßen und sollte nie gegen den tatsächlichen bzw. vermuteten erzieherischen Willen der Eltern handeln.
Den Aufsichtspflicht-Vertrag abschließen
Übertragen die Eltern ihre gesetzliche Aufsichtspflicht auf andere Personen per Vertrag, dann unterliegt dieser allerdings keinen Formvorschriften. Der “Aufsichtspflicht-Vertrag” muss also nicht schriftlich verfasst sein. Selbst ein stillschweigendes Handeln der Eltern, aus dem die Übertragung der Aufsichtspflicht schlüssig abgeleitet werden kann, reicht schon aus. Der “Übergabeakt” muss allerdings unter beidseitiger Beteiligung zustande kommen. Wenn der Betreuer die Aufsichtspflicht nicht übernehmen will, gibt es keinen Vertrag. Um rechtlich immer auf der sicheren Seite zu sein, empfiehlt sich beim Vertragsabschluss folgende Regelung:
Mündlicher Vertrag:
Bei den gewöhnlichen Veranstaltungen der Gruppe oder des Vereins ohne besondere Gefahren reicht der mündliche oder stillschweigende Vertrag aus. Damit ist verbunden, dass die Eltern müssen wissen, wo sich ihr Kind aufhält, wer die Gruppe leitet und was die üblichen Aktivitäten der Gruppe sind. Ihr Wissen darüber wird als stillschweigende Zustimmung gewertet. Die Aufnahme des Kindes in die Gruppe bzw. den Verein sollte man allerdings immer schriftlich absichern.
Schriftlicher Vertrag I:
Jeder Teilnehmer an den Gruppenstunden sollte dazu 1x schriftlich von den Eltern angemeldet werden (Beispiel für Anmeldezettel siehe nächste Seite). Diese schriftliche Einverständniserklärung ist ein Dokument das belegt, dass beide Vertragspartner ihrer gegenseitigen Informationspflicht nachgekommen sind. Der Gruppenleiter informiert darüber welche Aktivitäten für gewöhnlichen durchgeführt werden und wann/wo diese in der Regel stattfinden. Die Eltern stimmen mit ihrer Unterschrift dem zu und teilen im Gegenzug wichtige Daten über ihr Kind mit, die zur Ausübung der Aufsichtspflicht notwendig sind.
Schriftlicher Vertrag II:
Finden bei den Gruppentreffen gelegentlich außergewöhnliche Aktivitäten statt, die besondere Gefahren (Schwimmen, Bergwandern, Reiten, Bootfahren, Naturschutzeinsatz mit gefährlichem Gerät, usw.) beinhalten, dann sollte die Eltern für diese Sonderveranstaltungen zusätzlich ihr Einverständnis schriftlich erklären. Diese Einverständniserklärung sollte möglichst die Befähigung des Kindes, z.B. eine abgelegten Schwimmprüfung beinhalten. Wenn die Erlaubnis nicht vorliegt, hat der Gruppenleiter keinen leichten Stand: Er muss jeweils nachprüfen, ob das entsprechende Gruppenmitglied auch wirklich fähig und tauglich zur Teilnahme an der gefährlichen Aktivität ist – ob das Kind z.B. schwimmen kann und der Gesundheitszustand es zulässt. Er muss sich also intensiv um ein solches Kind kümmern und erschwert sich damit die Aufsichtspflicht erheblich. Ohne schriftliche Einverständniserklärung der Eltern sollte man den jeweiligen Teilnehmer von der entsprechenden Aktivität also besser ausschließen.
Schriftlicher Vertrag III:
Bei Unternehmungen, bei denen auch eine unmittelbare Fürsorge für die Person hinzukommt (meist mehrtägig wie Freizeiten, Zeltlager, Auslandsfahrten), sollte man sich ebenfalls stets eine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern besorgen.
Wichtige Daten eines Anmeldezettel
Vor dem Ausüben der Aufsichtspflicht, sollte sich der Gruppenleiter umfassend bei den Eltern informieren. Er muss wissen, welche Krankheiten und Allergien die Kinder und Jugendlichen haben, ob sie regelmäßig Medikamente einnehmen müssen, welche Fähigkeiten sie für besondere Aktivitäten mitbringen z.B. Schwimmkenntnisse und was die Eltern ihnen nicht erlauben. Für diese Information sollte der Gruppenleiter einen Anmeldezettel erstellen und diesen von den Eltern ausfüllen und unterschreiben lassen. Eine weitere nützliche Angabe ist die Handynummer der Eltern, unter der sie während der Veranstaltung zu erreichen sind. Bei Ferienfreizeiten oder Auslandsfahrten sollte zusätzlich die Zustimmung zu einem Arztbesuch, bestehender Impfschutz und die Blutgruppe in die Einverständniserklärung mit aufgenommen werden. Nehmen Kinder regelmäßig Medikamente ein, kommt eventuell noch die Erlaubnis zur Verabreichung dieser hinzu.
Gruppenleiter geben den Teilnehmern grundsätzlich keine Medikamente. Außer es liegt dafür eine schriftliche Erlaubnis und detaillierte Information der Eltern vor.
Im Gegenzug müssen aber auch die Eltern umfassend über die Aktivitäten informiert werden, damit sie wissen, unter welchen Bedingungen sie die Aufsichtspflicht übertragen. Das kann auf dem Anmeldezettel oder einer separaten Programm-Info erfolgen. Die Eltern sollten dabei über den Veranstaltungsort und –dauer, Beginn und Ende, geplante Aktivitäten, benötigte Ausrüstung sowie Name und Not-Telefon der Gruppenleitung benachrichtigt werden.
Es folgt ein Musterbeispiel für einen Anmeldezettel:
Verknüpfung Anmeldezettel Einfügen!
Neuer Teilnehmer erscheint unangemeldet zur Gruppenstunde - Aufsichtspflicht ohne Vertrag:
Taucht bei einer Gruppenstunde ein neues Kind auf, das die Gruppenleiter nicht kennen, dann existiert kein Aufsichtspflicht-Vertrag. Der Leiter kann nicht einfach davon ausgehen, dass die Eltern ihr Kind zur Unternehmung geschickt haben. Sie sollten dies schnellstmöglich telefonisch klären und die Eltern informieren sowie Klarheit schaffen. Wenn das nicht geht, muss der Betreuer überlegen, ob er die Verantwortung für die nicht genehmigte Teilnahme des Kindes übernehmen will oder nicht – es ist möglich sie zu verweigern. Bezieht er das Kind in die Veranstaltung mit ein, so liegt eine “Geschäftsführung ohne Auftrag” vor, d.h., der Betreuer übernimmt faktisch die Aufsichtspflicht. Er muss diese dann “im mutmaßlichen Sinne des Sorgeberechtigten” ausüben. Nach der Veranstaltung sollten die Eltern aber so schnell wie möglich darüber informiert werden.
Wer ist Vertragspartner - die Betreuer oder der Verein?
Ein Gruppenleiter ist rechtlich gesehen nicht automatisch der Vertragspartner für die Eltern, wenn es um die Übernahme der Aufsichtspflicht geht. Erst die Organisationsform der Gruppe oder des Vereins legt den Vertragspartner eindeutig fest.
In unorganisierten, sporadischen Gruppen und nicht-rechtsfähigen Vereinen ist in der Regel der Jugendleiter der Vertragspartner gegenüber den Eltern. Sporadische Gruppen sind z.B. Gruppen, die sich nur zu einer bestimmten Aktion auf Zeit zusammenschließen. Als nicht-rechtsfähige Vereine gelten alle Gruppierungen, die nicht beim Amtsgericht eingetragen sind, aber eine eigene Satzung und einen demokratisch gewählten Vorstand haben.
In rechtsfähigen Vereinen, also in allen eingetragenen Vereinen (e.V.), fungiert immer der Verein als Vertragspartner mit den Eltern. Jeder Gruppenleiter übt als “Erfüllungsgehilfe” die Aufsichtspflicht in dessen Namen aus. Ein Gruppenleiter-Wechsel hat auf den Vertragsabschluss also keine Auswirkungen. Da alle LBV-Ortsgruppen sowie Kreisgruppen und die ihnen zugehörigen NAJU-Kinder- und Jugendgruppen jeweils Untergliederungen des Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V. – Verband für Arten- und Biotopschutz (LBV) sind, ist der rechtliche Vertragspartner für die Eltern hier immer der Verein.
Zeitlicher Vertragsrahmen
Für den Freizeiten-Gruppenleiter empfiehlt es sich, die Vertragsdauer für die Aufsichtspflicht zeitlich und räumlich genau mit den Eltern abzusprechen. Es muss klar sein, an welchem Ort und zu welcher Uhrzeit die Gruppenstunde beginnt und aufhört. Ist der vereinbarte Ort z.B. eine Bushaltestelle, so sind die Eltern für den Weg von der Wohnung bis zur Haltestelle noch voll verantwortlich. Dies gilt für den Hin- und Rückweg zur Veranstaltung. Wenn die Kinder und Jugendlichen selbständig zur Gruppenstunde kommen (dürfen), können sie auch alleine nach Hause gehen. Werden die Teilnehmer dagegen von den Eltern gebracht und abgeholt, so sollte man nach der Gruppenstunde stets auf die Eltern warten. Wenn man als Gruppenleiter einmal nicht pünktlich oder gar nicht zur Veranstaltung kommen kann, hat man rechtzeitig für eine geeignete Ersatz-Aufsichtsperson zu sorgen oder die Eltern zu informieren. Die Kinder und Jugendlichen dürfen auf keinen Fall unbeaufsichtigt sein. Gerade in solchen Fällen ist ein Handy von unschätzbarem Wert.
Minderjährige als Gruppenleiter
Auch Jugendliche unter 18 Jahren dürfen als Betreuer fungieren wenn sie für die Tätigkeit geeignet sind. Minderjährige zwischen 7 und 17 Jahren gelten als “beschränkt geschäftsfähig”. Dies bedeutet, dass alle Willenserklärungen, die die Jugendlichen binden sollen – wie Beitrittserklärung, Anmeldung zu Kursen, Übernahme der Aufsichtspflicht – der vorherigen Genehmigung durch die Eltern bedürfen. Wenn die Eltern zustimmen, darf z.B. auch ein 16-Jähriger die Betreuung einer Kindergruppe übernehmen – und damit auch die Aufsichtspflicht. Es empfiehlt sich für den Verantwortlichen, die Einwilligung der Eltern schriftlich festzuhalten.
Nach außen hin treten allerdings immer die Eltern in die rechtlichen Verantwortlichkeiten ihres Kindes ein. Generell empfiehlt es sich, ein Mindestalter von 16 Jahren anzusetzen und die Gruppenleiter vor ihrem Einsatz gut auszubilden.
Jugendliche, die schon länger in der NAJU Gruppe aktiv waren, sind oftmals sehr erfahren. Fragt doch mal die ältesten aus der Gruppe ob sie Interesse haben euch gelegentlich bei der Betreuertätigkeit zu unterstützen. Das motiviert, bildet und so wachsen die Jugendlichen langsam in die Leiterrolle hinein.
Eltern als Gruppenleiter oder Teamer
Wenn die Eltern einzelner Kinder bei einer Gruppenaktivität anwesend sind oder die Gruppe mitleiten, sollte man die Frage der Aufsichtspflicht für ihre Kinder vorher verbindlich absprechen. Für den Gruppenleiter muss klar sein, ob und wann er auch für diese Kinder die Aufsichtspflicht trägt. Ist dies nicht geklärt, kann es manchmal große Unsicherheit und Ärgernisse beim Gruppenleiter und bei den Eltern geben. Ein deutlicher Übergabeakt bei der Übernahme und Rückgabe der Aufsichtspflicht ist hier deshalb von großer Bedeutung.
Für Eltern, die eine Kindergruppe mitleiten, ist es stets sinnvoll, die Aufsichtspflicht auch auf alle Gruppenleiter zu übertragen, weil sich ansonsten ihr eigenes Kind nur in ihrem Aufsichtsbereich aufhalten könnte.
Die Aufsichtspflicht übertragen
Ein Gruppenleiter kann die tatsächliche Aufsicht (nicht seine vertragliche Aufsichtspflicht!) in besonderen Situationen an eine andere Person, z.B. ein Gruppenmitglied, weiterreichen. Dies darf er allerdings nur, wenn er in einem nicht vorhersehbaren Notfall handelt, aus tatsächlich zwingenden Gründen abwesend sein muss und von der charakterlichen Reife, dem Verantwortungsbewusstsein, dem Können und der Autorität seines Vertreters überzeugt sein kann. Dazu hat er das bestgeeignetste Gruppenmitglied auszuwählen. Dieser Vertreter muss dann mit den notwendigen Anweisungen versehen werden. Die vertragliche Aufsichtspflicht verbleibt aber immer beim vom Verein bestätigten Gruppenleiter. An einen Minderjährigen darf er die Aufsicht stets nur weitergeben, wenn dessen Eltern zugestimmt haben.
Die Gruppenleitung sollte die Aufsicht nur im Notfall übergeben und nicht wenn sie z.B. “mal eben noch etwas zu besorgen hat” oder “die Freundin zum Bahnhof bringen muss”!