Hat man die Aufsichtspflicht von den Eltern übernommen, so muss man die Minderjährigen vor Schäden jeglicher Art bewahren und sie daran hindern, anderen Schäden zuzufügen. Es gilt, vorhersehbare Gefahren vorausschauend zu erkennen und situationsgerecht darauf zu reagieren. Ein Schaden kann körperlicher, gesundheitlicher, sittlicher, geistiger oder seelischer Art sein. Hinzu kommen noch die Sach- und Vermögensschäden.
Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht richten sich dabei danach, was die einzelne Situation, die persönlichen Eigenheiten des Kindes und die Zumutbarkeit für den entsprechenden Gruppenleiter erfordern. Es gibt also keine allgemeinen gesetzlichen Regeln, was “man” in einer bestimmten Situation zu tun hat. Die Frage muss immer lauten, ob dieser Leiter dieses Kind in dieser Situation genügend beaufsichtigt hat oder nicht. Die drei Faktoren Kind, Betreuer und Situation sind also in jedem Einzelfall neu zu gewichten und zu bewerten, um der Aufsichtspflicht gerecht zu werden.
Dabei muss beachtet werden, dass der Betreuer stets in einem Spannungsfeld steht: Einerseits soll er die Kinder und Jugendlichen zur Selbstständigkeit führen und ihnen Möglichkeiten bieten, mit Gefahren umgehen zu lernen – dies kann auch durchaus mal zu negativen Erfahrungen der Minderjährigen führen. Andererseits muss er immer den Sicherheitsaspekt beachten.
Aufsichtspflicht im Team
Wird die Aufsichtspflicht von einem Betreuerteam übernommen, sollten alle an einem Strang ziehen. Es ist in jedem Fall sicherzustellen, dass alle Gruppenleiter sich über die Regeln einig sind und diese in gleicher Weise überwachen und bei Übertretungen die gleichen Konsequenzen folgen lassen. Innerhalb des Teams muss immer klar abgesprochen werden, welcher Betreuer welche Aktivität beaufsichtigt. Bei Aufsichtspflichtverletzungen sind immer diejenigen Leiter verantwortlich, die daran beteiligt waren. Jeder Betreuer ist nur für seinen eigenständigen Bereich verantwortlich. Die Aufteilung der Verantwortungsbereiche im Team ist wichtig, weil sonst im Zweifelsfall alle Gruppenleiter die Folgen des falschen Verhaltens eines Betreuers tragen müssen. Jeder Betreuer ist ungeachtet seines Alters, seiner Erfahrung und seiner Stellung im Team voll für die Erfüllung der Aufsichtspflicht verantwortlich. Damit die Aufsichtspflicht im Team funktioniert, sollten sich die Gruppenleiter regelmäßig treffen und absprechen.
Trefft euch mit dem Betreuerteam auch mal ohne Kinder und gönnt euch was. Ein entspanntes Zusammensitzen bei einem leckeren Eisbecher stärkt den Zusammenhalt und motiviert.
Einzelfälle zur Aufsichtspflicht
Als Betreuer kann man das Risiko, die Aufsichtspflicht zu verletzen, grundsätzlich erst einmal dadurch vermeiden, dass man sich an gesetzliche Bestimmungen und Regeln hält. Man sollte also z. B. die Straßenverkehrsordnung, die Baderegeln oder Verordnungen über Zelten, Rauchen und Feuer im Wald kennen. Es gibt aber typische Gruppensituationen, bei denen das richtige Verhalten nicht so klar auf der Hand liegt. Wie man hier vorgehen sollte, zeigen die folgenden Fallbeispiele.
+ In Jugendgruppen kommt es oft vor, dass der Gruppenleiter einzelne Mitglieder zur Erledigung von Aufträgen fortschickt. Dies ist dann gerechtfertigt, wenn die Besorgungen für die Gruppenarbeit notwendig sind. Der Leiter darf aber nur solche Jugendlichen losschicken, die durch ihre Reife, ihren Charakter und ihre Erfahrungen den Anforderungen der Aufgabe vermutlich gewachsen sind. Und er muss ihnen die notwendigen Anleitungen für den Gruppenauftrag mitgeben.
+ Viele Jugendgruppen gehen im Naturschutzeinsatz auch mit gefährlichen Arbeitsgeräten wie z. B. Motorsägen um. Der Gruppenleiter verletzt seine Aufsichtspflicht auf gröbste Weise, wenn er Jugendliche ohne Motorsägenschein und ohne die nötige Schutzkleidung mit dem Gerät arbeiten lässt. Mit gefährlichen Arbeitsgeräten dürfen also nur solche Personen umgehen, die entsprechend ausgebildet und ausgerüstet sind. Die Unfallverhütungsvorschriften für den Umgang mit solchen Werkzeugen sind in jeder Geschäftsstelle der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft erhältlich.
+ Wenn man mit seiner Gruppe ins Schwimmbad geht, kann man die Aufsichtspflicht nicht einfach an den Bademeister abwälzen. Auch im Schwimmbad bleibt man voll verantwortlich für die Minderjährigen und muss sie zuerst einmal ausreichend über die Baderegeln informieren. Nichtschwimmer gehören natürlich nur ins Nichtschwimmerbecken. Mindestens ein Gruppenleiter bzw. Teamer muss sich dauernd am Beckenrand aufhalten und die Nichtschwimmer intensiv beaufsichtigen. Bei Schwimmern reicht nach eingehender Überprüfung der Schwimmkenntnisse eine regelmäßige Kontrolle aus. Wenn eine Wasserrutsche nicht von Angestellten des Bades beaufsichtigt wird, muss ein Gruppenleiter am Beginn der Rutsche die Aufsicht über die Sicherheitsabstände übernehmen, ein zweiter hat am Ende der Rutsche zu kontrollieren.
+ Der Betreuer muss auf einer Ferienfreizeit für einen ausreichenden Schlaf der Teilnehmer sorgen. Als Anhaltspunkte für die allgemeine Nachtruhe können folgende Uhrzeiten gelten: 6 bis 9-Jährige 21.00 Uhr, 10 bis 14-Jährige 22.00 - 23.00 Uhr, 15 bis 17-Jährige 23.00 - 24.00 Uhr. Bei der Überwachung der Nachtruhe erfüllt der Gruppenleiter seine Aufsichtspflicht, wenn er regelmäßige Kontrollgänge unternimmt, bis alle Teilnehmer schlafen und dann nach einer Stunde nochmals kontrolliert. Schlafen auch dann noch alle Kinder und Jugendlichen, darf er ebenfalls zu Bett gehen.
+ Es ist immer wieder schwierig zu entscheiden, in welchem Umfeld sich die Kinder und Jugendlichen auf einer Ferienfreizeit frei bewegen dürfen. Man sollte auf jeden Fall ein leicht abgrenzbares Spielgebiet vereinbaren, in dem sich die Kinder ohne Begleitung aufhalten können. Das Gebiet sollte so groß sein, dass die Teilnehmer genügend Möglichkeiten zur Entfaltung haben, aber dennoch einigermaßen im Blickfeld bleiben. Es sollte zudem keine großen Gefahrenquellen aufweisen.
+ Bei Freizeiten wollen die Teilnehmer manchmal in kleinen Gruppen ohne Begleitung eines Gruppenleiters Ausflüge in die Umgebung, z. B. in den nächsten Ort, unternehmen. Solche Ausflüge ohne Begleitung sollten nur nach Abwägung der Aufsichtspflicht-Kriterien erlaubt werden: Alter, Reife und Zuverlässigkeit der Teilnehmer, besondere Gefahren der Umgebung, Verkehrslage usw. Die Kinder und Jugendlichen müssen sich dann beim Leiter ab- und später wieder anmelden und sollten mindestens zu dritt unterwegs sein, um im Notfall Hilfe holen und Beistand leisten zu können.
+ Es kommt immer mal wieder vor, dass man als Leiter Gruppenmitglieder auch im eigenen PKW mitnimmt. Hinsichtlich der Aufsichtspflicht muss man sich dann besonders streng an die Straßenverkehrsordnung halten und darf z. B. keinerlei Alkohol getrunken haben. Passiert dennoch ein selbst verschuldeter Autounfall, so haftet man als Fahrzeughalter für die Insassen. Die eigene KFZ-Haftpflichtversicherung trägt den Schaden. Liegt das Verschulden beim Unfallgegner, so ist dessen Haftpflichtversicherung ersatzpflichtig.
+ Wenn der Gruppenleiter vermutet, dass Kinder und Jugendliche unerlaubt Zigaretten, Alkohol, verbotene bzw. gefährliche Gegenstände oder in der Gruppe gestohlene Sachen in ihren Taschen oder im Zimmer verstecken, darf er auch Gepäck- und Raumkontrollen durchführen. Er muss sich aber immer klar sein, dass solche Durchsuchungen das Vertrauen zwischen Betreuer und Gruppenmitglied auf eine harte Probe stellen. Besser ist es daher, den Kindern und Jugendlichen zuerst die folgenlose und evtl. anonyme Abgabe solcher Dinge beim Gruppenleiter zu ermöglichen. Bei Gefahr im Verzug muss man allerdings sofort handeln.
Gerichtsurteile zur Aufsichtspflicht
Es liegt stets in der Hand der Gerichte, zu entscheiden, ob im konkreten Einzelfall eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt oder nicht. Deshalb sind Gerichtsurteile für den Alltag des Gruppenleiters von großer Bedeutung. Hier fünf typische Urteile:
+ Auswahl von Betreuern: Gemeinnützige Organisationen, die Ferienaufenthalte veranstalten, z. B. Jugendverbände, genügen den Anforderungen, wenn sie sich der ehrenamtlichen Hilfe von pädagogisch ungeschulten, aber verantwortungsbewussten und im Umgang mit Kindern erfahrenen Erwachsenen bedienen (OLG Hamburg, VersR 1973, S. 828).
+ Kind springt vom Gehweg auf die Straße: Keine Verletzung der Aufsichtspflicht bei Verkehrsunfall durch Kleinkind, denn spontane Reaktion des Kindes kann nicht verhindert werden. Für den Unfall seien die Eltern und der Opa des 5-jährigen (schuldunfähigen) Kindes nicht verantwortlich. Sie hätten nicht gegen die Aufsichtspflicht verstoßen. Vater, Mutter und sogar die Großeltern hätten mit der Kleinen das angemessene Verhalten im Straßenverkehr als Fußgänger eingehend geübt. Auch hätten die beklagten Eltern ihre Tochter dem rüstigen Opa anvertrauen dürfen. Denn die Aufsichtspflicht könne auf zuverlässige und gewissenhafte Personen übertragen werden. Ursache des Unglücks sei die spontane Reaktion des Mädchens gewesen. Diese habe der Großpapa weder vorhersehen noch verhindern können (OLG Bamberg, 23.01.2007, - 5 U 227/06 –).
+ Die Aufsicht ausüben: Ein knapp 9-jähriges, normal entwickeltes Kind, das im Freien spielt, muss sich nicht im unmittelbaren Aufsichtsbereich aufhalten, der ein jederzeitiges Eingreifen des Aufsichtspflichtigen ermöglicht. Vielmehr ist der Aufsichtspflicht Genüge getan, wenn sich der Aufsichtspflichtige über das Tun und Treiben in groben Zügen einen Überblick verschafft (BGH in NJW 1984, S. 2574).
+ Umgang mit Gefahren: Nicht unbedingt das Fernhalten von jedem Gegenstand, der bei unsachgemäßem Umgang gefährlich werden kann, sondern gerade die Erziehung des Kindes zu verantwortungsbewusstem Hantieren mit einem solchen Gegenstand wird oft der bessere Weg sein, um Dritte vor Schäden zu bewahren. Hinzu kommt die Notwendigkeit frühzeitiger praktischer Schulung des Kindes, das seinen Erfahrungsbereich möglichst ausschöpfen soll (BGH, NJW 1976, S. 1684).
+ Gartenhaus abgebrannt durch "zündelnden" Elfjährigen: Klage auf Schadensersatz abgewiesen, da keine unbegrenzte Aufsichtspflicht der Eltern für ihre Kinder besteht. Eltern müssen ihren elfjährigen Sohn nicht dauernd beaufsichtigen. Im zugrunde liegenden Fall hatte ein elfjähriger Junge mit einem gleichaltrigen Kameraden gezündelt. Dabei brannte ein Gartenhaus vollständig ab. Der Eigentümer verklagte die Eltern des Elfjährigen auf Schadensersatz. Die Richter führten aus, dass Eltern nicht verpflichtet seien, einen Elfjährigen ständig zu beobachten. Dies gelte insbesondere in ländlichen Regionen, wo es durchaus üblich sei, dass Kinder über längere Zeit unbeaufsichtigt spielten. In diesen Gegenden müssten Eltern ihre Kinder nicht ständig beaufsichtigen. Dies gelte zumindest dann, wenn wie hier im Fall, der Elfjährige vorher nie durch Zündeln oder andere Sachbeschädigungen aufgefallen sei (OLG Zweibrücken, 28.09.2006, - 4 U 137/05 -).