Wenn aber doch einmal ein Unglück passiert und ein Teilnehmer oder ein Dritter einen Schaden erleidet, kommen haftungsrechtliche Fragen ins Spiel: Habe ich die Aufsichtspflicht verletzt? Wer ist verantwortlich? Wer muss für den Schaden aufkommen?
Eine Aufsichtspflicht-Verletzung liegt nicht vor, wenn der Schaden trotz ausreichender Aufsicht entstanden ist oder wenn er auch bei ausreichender Aufsicht entstanden wäre (z. B. ein Gruppenteilnehmer fährt mit seinem Fahrrad an einen Baum und verletzt sich, Stichwort: “Allgemeines Lebensrisiko!”). Sie ist erst dann gegeben, wenn der entstandene Schaden ursächlich mit ihr in Verbindung steht. Nur in diesem Fall kann sie auch zu einem Rechtsfall werden. Wichtig ist hierbei vor allem die Unterscheidung zwischen Zivil- und Strafrecht. Die zivilrechtlichen Vorschriften finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und bestimmen die Rechtsbeziehungen und den möglichen Streit einzelner Bürger untereinander. Bei Schadensersatz-Forderungen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht greift also immer das Zivilrecht. Der Geschädigte muss den Betreuer vor Gericht auf Schadensersatz verklagen.
Haftung und Schadensersatz
Ist aufgrund der Verletzung der Aufsichtspflicht ein Schaden entstanden, kann der Betreuer bzw. der Vertragspartner vom Geschädigten auf Schadensersatz verklagt werden. Der Geschädigte kann einmal das Kind sein, das dem Betreuer anvertraut wurde, oder es ist ein Dritter, dem das Kind während der Aufsichtszeit einen Schaden zugefügt hat. Beide Fälle werden im Bürgerlichen Gesetzbuch in getrennten Paragraphen behandelt.
Geschädigter Dritter
Hat ein minderjähriger Teilnehmer einer anderen Person widerrechtlich einen Schaden zugefügt, z. B. eine Fensterscheibe eingeschmissen, so muss geprüft werden, ob dies geschah, weil der Gruppenleiter seine Aufsichtspflicht verletzt hat oder nicht. Wenn ja, dann muss der Betreuer als Aufsichtspflichtiger nach § 832 BGB für den Schaden aufkommen und ihn ersetzen. Da ein Unbeteiligter geschädigt wurde, dreht sich die Beweislast allerdings um: Der Gruppenleiter muss nachweisen, dass er eine genügende Aufsicht geführt hat. Wird eine Gruppe alleine geleitet, so ist das nicht einfach. Liegt keine Verletzung der Aufsichtspflicht vor, können die Eltern des Minderjährigen haftbar gemacht werden.
Geschädigter Aufsichtsbedürftiger
Hat ein anvertrautes Gruppenmitglied durch die Verletzung der Aufsichtspflicht einen Eigenschaden erlitten, ist z. B. ein kletterunerfahrenes Kind von einem Baum heruntergestürzt, dann haftet der Betreuer nach § 823 BGB. In diesem Fall ist die Beweislast aber nicht umgekehrt, d. h. die Eltern müssen dem Gruppenleiter eine konkrete Verletzung der Aufsichtspflicht nachweisen. Wenn keine Aufsichtspflicht-Verletzung vorliegt, das Kind z. B. klettererfahren und gesichert war, dann gilt das sogenannte “allgemeine Lebensrisiko”, das jeden Menschen betrifft und für das keiner haftbar gemacht werden kann. Hat ein Gruppenleiter eine andere Person unmittelbar selbst geschädigt, haftet er natürlich ebenfalls – wie jeder andere Bürger auch (§ 823 BGB).
Haftung ohne sichtbare Schuld
Generell gilt, dass je besser die Eltern informiert sind, desto geringer das Haftungsrisiko des Gruppenleiters. Kennen die Eltern die Aktivitäten der Gruppe und stimmen ihnen zu, so tragen sie das “allgemeine Lebensrisiko” ihres Kindes und somit alle nicht durch Aufsichtspflicht-Verletzung verschuldeten Unfälle. Kennen sie diese nicht, haftet immer die Gruppenleitung. Mögliche Risiken von Unternehmungen der Gruppe sollten also niemals verharmlost werden!
Ein Betreuer kann unter bestimmten Bedingungen auch für Unfälle von Teilnehmern haften, bei denen keine unmittelbare Verletzung der Aufsichtspflicht vorliegt. Lässt der Gruppenleiter die Teilnahme eines Minderjährigen wissentlich gegen den erklärten Willen der Eltern zu, dann haftet er für jeden Zufall und muss alle entstehenden Kosten selbst tragen. Ohne Erlaubnis der Eltern sollte man deshalb keinen Minderjährigen an den Aktivitäten beteiligen.
Der Gruppenleiter haftet auch dann für alle zufälligen Schäden, wenn er mit der Gruppe eine neue gefährliche Aktivität ohne vorherige Zustimmung der Eltern unternimmt. Möchte er z. B. mit seiner Gruppe klettern gehen, so müssen die Eltern ausdrücklich damit einverstanden sein. Klettern gehört nicht zu den üblichen Aktivitäten von NAJU-Gruppen und ist somit im „normalen“ Aufsichtspflicht-Vertrag nicht enthalten.
Mitschuld von Eltern und Kindern
Wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht an den Betreuer übertragen, werden sie ihrer eigenen Aufsichtspflicht allerdings nicht völlig enthoben. So müssen Eltern, die feststellen, dass ihr Kind trotz eigenen Verbots einen gefährlichen Gegenstand (z. B. Messer) mit auf die Ferienfreizeit genommen hat, den Gruppenleiter sofort informieren. Tun sie es nicht und geschieht damit ein Unfall, bevor der Leiter von ihm erfährt, so haften die Eltern. Für Leiter und Teamer bedeutet diese Regelung, dass sie zu Beginn einer Ferienfreizeit nicht das ganze Gepäck der Kinder kontrollieren müssen, wenn sie keinen besonderen Verdacht haben. Die Eltern müssen auch dafür sorgen, dass die Kinder keine gefährlichen Gegenstände zur Gruppenstunde oder ins Ferienlager mitnehmen, die der Gruppenleiter im Anmeldezettel ausgeschlossen hat.
Tritt ein Schaden auf, weil die Aufsichtspflicht verletzt wurde, besteht zunächst eine grundsätzliche Haftung des Gruppenleiters. Aber auch Kinder und Jugendliche können nach § 828 BGB eine Mitschuld an einem Schadensfall haben. Gesetzlich sind Kinder bis zum Ende des 7. Lebensjahres noch nicht “deliktfähig” und tragen keine eigene Verantwortung für entstehende Schäden. Im Alter zwischen 8 und 17 Jahren sind sie dagegen je nach Alter, Reife, Erfahrung und Einsichtsfähigkeit bedingt schuldfähig. Wenn ein 14-Jähriger z. B. mit Steinen um sich wirft und es entsteht ein Schaden, so trifft ihn zumindest eine Mitschuld. Seine Eltern und der Betreuer werden somit zu “Gesamtschuldnern”. Der Betreuer hat die Mitschuld des Minderjährigen allerdings für den Einzelfall nachzuweisen. Mit ansteigendem Alter und zunehmender Reife des Teilnehmers nimmt die Mithaftung des Gruppenleiters kontinuierlich ab.
Gruppenleiter- und Vereinshaftung
Neben dem Gruppenleiter selbst kann auch der Verein, für den er tätig ist, nach § 831 BGB zum Schadensersatz herangezogen werden. So haben die Verantwortlichen des Vereins als rechtlicher Vertragspartner der Eltern für die sorgfältige Auswahl, Information, Schulung und materielle Ausstattung der Betreuer zu sorgen. Sind die Gruppenleiter überfordert oder nicht für die Aufgabe geeignet, so müssen sie abgelöst werden. Darüber hinaus haftet der Verein aber auch, wenn ein von ihm ausgewählter Gruppenleiter seine Aufsichtspflicht schuldhaft, also leicht fahrlässig (das kann jedem mal passieren), grob fahrlässig (so etwas darf nicht passieren) oder vorsätzlich (das wird passieren) verletzt. Die leichte Fahrlässigkeit ist der typische und häufigste Fall der Aufsichtspflichtverletzung. Nach außen hin tritt immer der LBV für die Gruppenleiter der NAJU in die Haftung ein. Wenn ein Geschädigter klagen will, muss er den Verband vor Gericht bringen. Der LBV übernimmt dann für seine Untergliederungen die gesamte Abwicklung des Verfahrens. Die LBV-Vereins-Haftpflichtversicherung entlastet im leicht und grob fahrlässig herbeigeführten Schadensfall sowohl den Verein als auch den einzelnen Gruppenleiter. Nur bei Vorsatz leistet sie keinen Schadensersatz. Durch den rechtlichen “Innenausgleich” zwischen dem Verein und dem Gruppenleiter steht im Fall des Vorsatzes am Ende stets der Gruppenleiter persönlich in der Verantwortung!
Haftungsausschluss im Vertrag
Wenn man als Gruppenleiter die Aufsichtspflicht für bestimmte Aktivitäten nicht übernehmen will oder kann, muss man sich von den Eltern einen schriftlichen Haftungsausschluss geben lassen (z. B.: “Mein Sohn darf ohne Aufsicht im See baden.”). Ein Haftungsausschluss gilt allerdings nur für Aufsichtspflichtverletzungen infolge leichter Fahrlässigkeit des Gruppenleiters! Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit haftet man in jedem Fall. Der Ausschluss greift auch nur, wenn der Teilnehmer selbst zu Schaden kommt und nicht, falls er einen Dritten schädigt. In der Praxis sollte man schon allein deshalb nicht mit Haftungsausschlüssen arbeiten.
Die Verkehrssicherungspflicht
Unabhängig von der Aufsichtspflicht besteht für jeden Bürger die allgemeine Rechtspflicht, seine Tätigkeiten so zu regeln, dass Schädigungen anderer Personen vermieden werden. Für einen Verein bedeutet dies z. B., dass von seiner Hütte im Wald keine Gefahren für Menschen ausgehen dürfen. Oder ein Gruppenleiter darf beim Naturschutzeinsatz keine Werkzeuge liegen lassen. Eine Vernachlässigung dieser sogenannten Verkehrssicherungspflicht liegt auch dann vor, wenn man in seinem Einwirkungsbereich gefährlichen Unfug von Kindern nicht verhindert oder gar erst ermöglicht. Bei Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann jeder Bürger vom Geschädigten vor Gericht gebracht werden.