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Dieser vielleicht etwas sperrige Begriff ist dir sicher schon über den Weg gelaufen, sei es bei der NAJU, im LBV oder irgendwo anders. Wenn wir über das Leiten von Kinder- und Jugendgruppen im Naturschutz reden, kommen wir um diesen Begriff nicht herum. Was ist also Bildung für nachhaltige Entwicklung (kurz BNE)? Wozu brauchen wir sie? Und was wird aus der altbekannten Umweltbildung – wird sie ersetzt durch BNE? Antworten auf diese und ähnliche Fragen bekommst du in diesem Kapitel.

Was bedeuten „Nachhaltigkeit“ und „Nachhaltige Entwicklung“?

Nachhaltigkeit – dieser Begriff kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bezeichnete schon im 18. Jahrhundert die eigentlich recht vernünftige Bewirtschaftungsweise eines Waldes, bei welcher stets nur so viel Holz geerntet wird wie nachwachsen kann. Dieses Prinzip scheint einfach und logisch. Doch haben wir inzwischen in fast allen Bereichen dagegen verstoßen: Durch zu intensive Landwirtschaft werden die Böden ausgelaugt, die Regenwälder werden in alarmierender Geschwindigkeit abgeholzt, unsere Meere sind überfischt, in großen Teilen der Welt wächst die Armut und soziale Strukturen gehen verloren. Die World Commission on Environment and Development (WCED) will das durch eine nachhaltige Entwicklung ändern: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generationen sichert und gleichzeitig zukünftigen Generationen die Möglichkeit zur Gestaltung ihres Lebens erhält“ (WCED 1987). Einfach ausgedrückt heißt das für uns: „Hier nicht leben auf Kosten von anderswo und heute nicht auf Kosten von morgen.“

Oft wird das Nachhaltigkeitsdreieck verwendet, um das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung anschaulich darzustellen. Die Eckpunkte dieses Dreiecks sind Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Dieses Bild soll zeigen, dass nachhaltiges Handeln immer alle drei Bereiche mit einschließen muss. Das Handeln in einem Bereich darf nicht auf Kosten der anderen beiden Bereiche gehen. Allerdings wird dieses Modell auch kritisiert, weil es doch dazu verleiten kann, die drei Bereiche getrennt voneinander zu betrachten.

Ein besseres Bild für die Verknüpfung der drei Bereiche ergibt sich, wenn sie als drei Kreise dargestellt werden:

  • Der große Kreis symbolisiert die Ökologie und damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen,

  • darin eingebettet ist als zweiter kleinerer Kreis das soziale Gefüge unserer Gesellschaft,

  • der kleinste Kreis innerhalb des Sozialen ist die Wirtschaft – ein Teil unseres sozialen Gefüges.

Warum ist Bildung notwendig für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft?

Bildung ist eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Bildung ist notwendig, damit Menschen fähig werden, sich mit Umwelt- und Entwicklungsfragen auseinanderzusetzen. Formale (z. B. Schule) und nichtformale (z. B. NAJU-Kindergruppe) Bildung sind wesentlich, um Menschen zum Umdenken zu bewegen und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu wecken. Außerdem ist Bildung entscheidend für die Förderung von Werten und Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

„Umweltbildung“ oder "Bildung für nachhaltige Entwicklung“ – Was ist der Unterschied?

Das Ziel der klassischen Umweltbildung ist (bzw. war) es, einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt und den natürlichen Ressourcen zu vermitteln. Das geschah vor allem durch Beobachtungen und Erlebnisse in der „heilen“ Natur, durch naturwissenschaftlich ausgerichtete Exkursionen, Vermittlung von konkreten Maßnahmen zum Umweltschutz, Pflege und Renaturierung von Naturschutzflächen etc. Diese Art von Umweltbildung war also oft sehr natur- und technikorientiert. Dabei wurde der soziale, kulturelle, politische und wirtschaftliche Zusammenhang von menschlichem Handeln und den dadurch entstehenden Umweltproblemen oft nicht mit betrachtet. Umweltbildung ist deshalb keineswegs veraltet oder falsch. Im Gegenteil: Umweltbildung ist heute wichtiger denn je. Aber sie sollte ergänzt werden, um eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft zu erreichen. BNE kann deshalb als eine Erweiterung der Umweltbildung gesehen werden: BNE ist ein umfassenderes Bildungskonzept, welches versucht, ökologische und soziale, kulturelle und politische, wirtschaftliche und globale Aspekte zu verknüpfen. Das Ziel von BNE ist somit, nachhaltiges Handeln in allen Bereichen der Gesellschaft zu bewirken.

Das Konzept der „Gestaltungskompetenz“

Nachhaltige Entwicklung ist auch ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess. Für diesen benötigen wir Menschen vor allem so genannte „Gestaltungskompetenz“. Dieser Begriff klingt vielleicht kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach zu verstehen: Gestaltungskompetenz ist die Fähigkeit von Menschen, Ereignisse in unserer (unmittelbaren und weiteren) Umgebung zu beeinflussen. Das bedeutet, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und sie mitzugestalten. Hierzu sind einige Voraussetzungen notwendig. Gestaltungskompetenz braucht die Bereitschaft, gestalten zu wollen. Gestalten, Agieren, aktives Handeln bedeutet dabei mehr, als nur auf bereits bekannte Probleme zu reagieren. Gestaltungskompetenz beinhaltet, zukünftige Entwicklungen – auch problematische – zu erkennen, zu begreifen und diese Entwicklungen aktiv zu beeinflussen. Um das zu erreichen, müssen Kinder und Jugendliche lernen, über künftige Entwicklungen nachzudenken. Dafür sind neben der  Fähigkeit zum vorausschauenden und vernetzten Denken weitere Kompetenzen notwendig: Junge Menschen müssen zur Reflexion befähigt werden, zur Verständigung, zur Kooperation und Solidarität. Diese und weitere Fähigkeiten werden im Konzept der Gestaltungskompetenz zusammengefasst. Im direkten Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung bezeichnet Gestaltungskompetenz die Fähigkeit, Wissen über nachhaltige Entwicklung anzuwenden, Probleme nicht-nachhaltiger Entwicklung zu erkennen und Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse verwirklichen lassen. Oder ganz kurz: Gestaltungskompetenz = Kompetenzen, mit denen wir unsere Gegenwart und Zukunft lebenswert gestalten können.

Gestaltungskompetenz umfasst elf Teilkompetenzen, die Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene erlangen sollen:

Teilkompetenz

Was bedeutet diese Teilkompetenz?

Wie kann sie gefördert werden?

1. Global denken und offen sein für neue Perspektiven

Haben die Kinder Neugier und Offenheit gegenüber anderen Kulturen? Lernen sie, Probleme aus der Perspektive unterschiedlicher Kulturen zu sehen und zu verstehen? Lernen die Kinder, Beziehungen zwischen lokalen und globalen Situationen oder Problemen zu erkennen?

Rollenspiele, Puppenspiele, Recherchen, Informationsbeschaffung und -auswertung, Interviews, Schülerfirmen

2. Vorausschauend denken und handeln

Denken die Kinder über die Zukunft nach? Verstehen sie, welche Auswirkungen ihre Handlungen auf die Zukunft haben? Können sie die Gegenwart aus der Zukunftsperspektive betrachten? Entwickeln sie Visionen vom Leben in der Zukunft im Sinne der Nachhaltigkeit?

Fantasiereisen, Ideenwettbewerbe, kreatives Schreiben, Zukunftswerkstätten, Erstellen von Zeichnungen oder Collagen vom Leben in der Zukunft, Modellbau, Denkspiele (was wäre wenn …), Planspiele, Rollenspiele

3. Fachübergreifend denken und handeln

Können die Kinder Probleme erkennen, Fragen formulieren und fachübergreifend (interdisziplinär) denken? Finden sie eigene Lösungswege und können Gelerntes in ähnlichen Zusammenhängen verwenden? Können sie Konzepte der Nachhaltigkeit z. B. in den Bereichen Technik, Wirtschaft, Verkehr, Konsum und Freizeit an konkreten Beispielen erklären?

Projekte, entdeckendes Lernen, Lernen an Stationen, Werkstattarbeit, selbstständiges Erarbeiten von Fragestellungen und Lösungen, Schülerfirmen

4. Gefahren erkennen
und abwägen
Erkennen die Kinder Risiken und Gefahren von nicht-nachhaltigem Handeln? Können sie diese auch analysieren und beurteilen?Recherchen, Interviews, Exkursionen zu Orten, wo die Folgen nicht-nachhaltigen Handelns sichtbar werden
5. Selbstständig
und gemeinsam mit
anderen planen und
handeln
Können die Kinder allein und mit anderen planen und handeln? Wissen sie, wie sie vom Planen zum Handeln gelangen? Können sie in einfachen Planungssituationen ihre Kenntnisse über nachhaltige Entwicklung anwenden?Projekte, Exkursionen, Forschungsaktionen, Interviews, selbstorganisiertes Lernen, Schülerfirmen
6. Zielkonflikte erkennen
und berücksichtigen

Können die Kinder heute Entscheidungen treffen, die zukünftig lebende Menschen und Generationen beeinflussen?


Finden sie Lösungen für Probleme, bei denen Ziele der nachhaltigen Entwicklung zueinander in Konkurrenz stehen, z.B. genügend Nahrung für alle Menschen – genügend intakte Natur für bedrohte Tierarten?

Recherchen, Projekte, Gruppendiskussionen
7. Gemeinsam entscheiden

Können die Kinder ihrem Altergemäß kommunizieren und Beziehungen zu anderen aufbauen?


Können sie Konflikte friedlich austragen, Entscheidungen treffen und kooperieren?


Wissen sie, wie und wo sie mitentscheiden können?

Mediation (harmonische Vermittlung bei privaten und sozialen Konflikten), Gesprächskreise, Rituale, Kooperationsspiele, Einbeziehung verschiedener Partner und Lernorte, Nutzung neuer
Technologien
8. Sich und andere
motivieren

Erfahren die Kinder durch ihre Tätigkeiten, dass es sich lohnt und Spaß macht, sich für eine Sache einzusetzen? Bekommen sie für ihre Tätigkeiten Anerkennung?
Achtest du bei der Planung und Durchführung von Vorhaben darauf, dass sich die Kinder dabei wohl fühlen?

Gibt es im Gruppenleben Gelegenheiten, um nachhaltige Verhaltensweisen selbst zu erleben?
Wollen die Kinder Neues lernen?Können sie anderen von ihren Aktionen berichten und sie motivieren, selbst aktiv zu werden?

Ausstellungen, Werbeaktionen, Wettbewerbe, Pressearbeit, Wandzeitungen, Internetauftritte, Feste und Feiern, Schülerfirmen, generationsübergreifende Hilfsaktionen
9. Leitbilder und
Motivationen reflektieren

Können die Kinder über ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster, Gewohnheiten und Lebensstile nachdenken? Erkennen sie, warum sie so handeln, wie sie es tun?


Erkennen sie, warum andere anders handeln als sie selbst? Erkennen sie kulturelle Verhaltensweisen?


Können sie ihr Leben und ihre Erlebnisse mit dem Leben anderer Bevölkerungsgruppen und Kulturen vergleichen?

Wahrnehmungsspiele, vor allem die selten gewordene sinnliche Wahrnehmung, wie Stille, Dunkelheit oder körperlich harte Arbeit, Philosophieren, Analysieren, szenisches Spiel,
Reiseberichte über andere Völker, handlungsorientierte Tätigkeiten wie Kochen oder Spielen
10. Gerechtigkeit
als Handlungsgrundlage
nutzen

Können die Kinder Wirkungen und Nebenwirkungen ihres Handelns für andere abschätzen?

Können sie Beispiele nennen, warum es gut ist, auf andere Rücksicht zu nehmen


Erkennen sie Generationen-übergreifende Gerechtigkeitskonflikte? Haben sie realistische Vorschläge für die Lösung der Konflikte?

Recherche zu Gerechtigkeitsverständnis in anderen Kulturen und Zeitaltern, Diskussionen, Rollenspiele, Planspiele, Denkspiele (was wäre wenn…)
11. Mitgefühl und
Solidarität für Benachteiligte
zeigen

Können sich die Kinder in die Lebenssituation anderer Menschen einfühlen?


Kennen sie die Begriffe Solidarität, Gerechtigkeit und die Probleme der Einen Welt? Haben sie ihrem Alter entsprechende Lösungsvorschläge?


Wollen und können die Kinder andere unterstützen, wenn es nötig ist?

Partnerschaften, Hilfsaktionen, Fair-Trade-Projekte, Briefaustausch, E-Mail-Kontakte, Eine-
Welt-Frühstück, Patenschaften, Streitschlichter
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