Nachhaltige Entwicklung ist auch ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess. Für diesen benötigen wir Menschen vor allem so genannte „Gestaltungskompetenz“. Dieser Begriff klingt vielleicht kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach zu verstehen:
Gestaltungskompetenz ist die Fähigkeit von Menschen, Ereignisse in unserer (unmittelbaren und weiteren) Umgebung zu beeinflussen. Das bedeutet, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und sie mitzugestalten. Hierzu sind einige Voraussetzungen notwendig. Gestaltungskompetenz braucht die Bereitschaft, gestalten zu wollen. Gestalten, Agieren, aktives Handeln bedeutet dabei mehr, als nur auf bereits bekannte Probleme zu reagieren. Gestaltungskompetenz beinhaltet, zukünftige Entwicklungen – auch problematische – zu erkennen, zu begreifen und diese Entwicklungen aktiv zu beeinflussen. Um das zu erreichen, müssen Kinder und Jugendliche lernen, über künftige Entwicklungen nachzudenken. Dafür sind neben der Fähigkeit zum vorausschauenden und vernetzten Denken weitere Kompetenzen notwendig: Junge Menschen müssen zur Reflexion befähigt werden, zur Verständigung, zur Kooperation und Solidarität. Diese und weitere Fähigkeiten werden im Konzept der Gestaltungskompetenz zusammengefasst. Im direkten Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung bezeichnet Gestaltungskompetenz die Fähigkeit, Wissen über nachhaltige Entwicklung anzuwenden, Probleme nicht-nachhaltiger Entwicklung zu erkennen und Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse verwirklichen lassen.
Oder ganz kurz: Gestaltungskompetenz = Kompetenzen, mit denen wir unsere Gegenwart und Zukunft lebenswert gestalten können.
Gestaltungskompetenz umfasst zwölf Teilkompetenzen, die Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene erlangen sollten:
Teilkompetenz | Was bedeutet diese Teilkompetenz? | Wie kann sie gefördert werden? |
---|---|---|
1. Global denken und offen sein für neue Perspektiven | Haben die Kinder Neugier und Offenheit gegenüber anderen Kulturen? Lernen sie, Probleme aus der Perspektive unterschiedlicher Kulturen zu sehen und zu verstehen? Lernen die Kinder, Beziehungen zwischen lokalen und globalen Situationen oder Problemen zu erkennen? | Rollenspiele, Puppenspiele, Recherchen, Informationsbeschaffung und -auswertung, Interviews, Schülerfirmen |
2. Vorausschauend denken und handeln | Denken die Kinder über die Zukunft nach? Verstehen sie, welche Auswirkungen ihre Handlungen auf die Zukunft haben? Können sie die Gegenwart aus der Zukunftsperspektive betrachten? Entwickeln sie Visionen vom Leben in der Zukunft im Sinne der Nachhaltigkeit? | Fantasiereisen, Ideenwettbewerbe, kreatives Schreiben, Zukunftswerkstätten, Erstellen von Zeichnungen oder Collagen vom Leben in der Zukunft, Modellbau, Denkspiele (was wäre wenn …), Planspiele, Rollenspiele |
3. Fachübergreifend denken und handeln | Können die Kinder Probleme erkennen, Fragen formulieren und fachübergreifend (interdisziplinär) denken? Finden sie eigene Lösungswege und können Gelerntes in ähnlichen Zusammenhängen verwenden? Können sie Konzepte der Nachhaltigkeit, z. B. in den Bereichen Technik, Wirtschaft, Verkehr, Konsum und Freizeit, an konkreten Beispielen erklären? | Projekte, entdeckendes Lernen, Lernen an Stationen, Werkstattarbeit, selbstständiges Erarbeiten von Fragestellungen und Lösungen, Schülerfirmen |
4. Gefahren erkennen und abwägen | Erkennen die Kinder Risiken und Gefahren von nicht-nachhaltigem Handeln? Können sie diese auch analysieren und beurteilen? | Recherchen, Interviews, Exkursionen zu Orten, wo die Folgen nicht-nachhaltigen Handelns sichtbar werden |
5. Gemeinsam mit anderen planen und handeln | Können die Kinder mit anderen planen und handeln? Wissen sie, wie sie vom Planen zum Handeln gelangen? Können sie in einfachen Planungssituationen ihre Kenntnisse über nachhaltige Entwicklung anwenden? | Projekte, Exkursionen, Forschungsaktionen, Interviews, Schülerfirmen |
6. Zielkonflikte erkennen und berücksichtigen | Können die Kinder heute Entscheidungen treffen, die zukünftig lebende Menschen und Generationen beeinflussen? Finden sie Lösungen für Probleme, bei denen Ziele der nachhaltigen Entwicklung zueinander in Konkurrenz stehen, z. B. genügend Nahrung für alle Menschen – genügend intakte Natur für bedrohte Tierarten? | Recherchen, Projekte, Gruppendiskussionen |
7. Gemeinsam entscheiden | Können die Kinder ihrem Alter gemäß kommunizieren und Beziehungen zu anderen aufbauen? Können sie Konflikte friedlich austragen, Entscheidungen treffen und kooperieren? Wissen sie, wie und wo sie mitentscheiden können? | Mediation (harmonische Vermittlung bei privaten und sozialen Konflikten), Gesprächskreise, Rituale, Kooperationsspiele, Einbeziehung verschiedener Partner und Lernorte, Nutzung neuer Technologien |
8. Sich und andere motivieren | Erfahren die Kinder durch ihre Tätigkeiten, dass es sich lohnt und Spaß macht, sich für eine Sache einzusetzen? Bekommen sie für ihre Tätigkeiten Anerkennung? Achtest du bei der Planung und Durchführung von Vorhaben darauf, dass sich die Kinder dabei wohl fühlen? Gibt es im Gruppenleben Gelegenheiten, um nachhaltige Verhaltensweisen selbst zu erleben? Wollen die Kinder Neues lernen? Können sie anderen von ihren Aktionen berichten und sie motivieren, selbst aktiv zu werden? | Ausstellungen, Werbeaktionen, Wettbewerbe, Pressearbeit, Wandzeitungen, Internetauftritte, Feste und Feiern, Schülerfirmen, generationsübergreifende Hilfsaktionen |
9. Leitbilder und Motivationen reflektieren | Können die Kinder über ihre eigenen Denk- und Handlungsmuster, Gewohnheiten und Lebensstile nachdenken? Erkennen sie, warum sie so handeln, wie sie es tun? Erkennen sie, warum andere anders handeln als sie selbst? Erkennen sie kulturelle Verhaltensweisen? Können sie ihr Leben und ihre Erlebnisse mit dem Leben anderer Bevölkerungsgruppen und Kulturen vergleichen? | Wahrnehmungsspiele, vor allem die selten gewordene sinnliche Wahrnehmung wie Stille, Dunkelheit oder körperlich harte Arbeit, Philosophieren, Analysieren, szenisches Spiel, Reiseberichte über andere Völker, handlungsorientierte Tätigkeiten wie Kochen oder Spielen |
10. Gerechtigkeit als Handlungsgrundlage nutzen | Können die Kinder Wirkungen und Nebenwirkungen ihres Handelns für andere abschätzen? Können sie Beispiele nennen, warum es gut ist, auf andere Rücksicht zu nehmen? Erkennen sie Generationen-übergreifende Gerechtigkeitskonflikte? Haben sie realistische Vorschläge für die Lösung der Konflikte? | Recherche zu Gerechtigkeitsverständnis in anderen Kulturen und Zeitaltern, Diskussionen, Rollenspiele, Planspiele, Denkspiele (was wäre wenn…) |
11. Eigenständig planen und handeln können | Hier wird der individuelle Aspekt betont. Insbesondere das persönliche Engagement ist gefragt, wenn es um veränderte Lebensstile, Konsumgewohnheiten und die Rechte anderer Personen und Gemeinschaften geht. Können die Kinder alleine planen und handeln? Wissen sie, wie sie vom Planen zum Handeln gelangen? Können sie in einfachen Planungssituationen ihre Kenntnisse über nachhaltige Entwicklung anwenden? | Selbstorganisiertes Lernen, eigenes Projekt durchführen und präsentieren |
12. Mitgefühl und Solidarität für Benachteiligte zeigen | Können sich die Kinder in die Lebenssituation anderer Menschen einfühlen? Kennen sie die Begriffe Solidarität, Gerechtigkeit und die Probleme der Einen Welt? Haben sie ihrem Alter entsprechende Lösungsvorschläge? Wollen und können die Kinder andere unterstützen, wenn es nötig ist? | Partnerschaften, Hilfsaktionen, Fair-Trade-Projekte, Briefaustausch, E-Mail-Kontakte, Eine-Welt-Frühstück, Patenschaften, Streitschlichter |
Quellen: de Haan, G. (2008a): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung.